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Das Projekt "becoming [stone]"

  • andreanagl1
  • 1. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 29. Aug.

Erdgeschichtliche Inspiration und Basis


Research im Bittesch Gneis
Research im Bittesch Gneis

Zentral für die Entwicklung dieses Projekts, gleichsam sein fester Untergrund, waren mehrere geologische „Begegnungen“, die mir inhaltliche Impulse gaben und Ausgangspunkt meiner geologischen und choreographischen Forschung sind: 


Die Erzählung des Kidhy:

Ein mittelalterlicher Text aus dem 13. Jahrhundert, den mir der Geologe Reinhard Roetzel schickte. Die Erzählung beschreibt einen Ort, der sich über Jahrhunderte hinweg transformiert – Stadt, Felder, Meer, wieder Stadt – wobei die jeweils aktuellen Bewohner*innen stets davon ausgehen, dass ihre Umgebung „immer schon“ so gewesen sei. Dieses Narrativ verweist präzise auf ein zentrales Problem geologischer Wahrnehmung: das begrenzte menschliche Vorstellungsvermögen gegenüber tiefenzeitlicher Transformation und die Tendenz, Landschaften als statisch oder gegeben zu betrachten. Die Erzählung fungiert für mich als ein theoretischer Referenztext, der Konzepte wie Geohistorie, Nichtlinearität und epistemologische Begrenzung verhandelt.


Verwitterung, Metamorphose oder Deckenüberschiebungen sind damit in die gleiche Zeitebene gestellt und passieren gleichzeitig und JETZT. (Roetzel, 19.7.25)

Feldbegehung im Raum Pernegg (Waldviertel, Moravikum):

Im Rahmen einer Kartierung mit Roetzel ging es konkret um die geologische Grenze zwischen Marmor und Glimmerschiefer – beides (poly)metamorphe Gesteine aus marinen Sedimenten. Ein kurzer, beiläufiger Satz von Roetzel über den ursprünglichen Ablagerungsraum dieser Gesteine („Sand am Schelf, Schlamm im Tiefseegraben“) erzeugte einen Moment kognitiver Dislokation: der Übergang vom Jetzt in das präkambrische Meer (ca. 600 Mio Jahre), dessen Sedimente durch mehrere Gebirgsbildungsphasen hindurch zu jenem Gestein wurden, das wir heute kartieren*). Dieses Ereignis war für meine Arbeit insofern zentral, als es eine Erfahrung zeitlichen Kollaps herstellte ("time collapsed") – ein Schlüsselmoment für meine performative Recherche an geologischer Erinnerung.


Geologische Exkursion ins Horner Becken:

Das Horner Becken ist ein tertiäres Becken, das im Miozän (ca. 20 Mio Jahre) ein flaches Meer beherbergte. Auch hier erlebte ich durch die Vermittlung Roetzels eine räumlich-zeitliche Verschiebung: Als er den Sand der Loibersdorf Formation durch die Finger rieseln ließ und lapidar meinte, und hier stehen wir am Strand. 

Beim Blick über das Horner Becken auf den oben erwähnten Bittesch-Gneis-Hügelzug, diesmal von der anderen Seite, wurde mir mit schlagartiger Klarheit bewusst: Ich blicke gleichzeitig auf zwei Meere, die durch mehrere hundert Millionen Jahre voneinander getrennt sind. Auf der einen Seite: ehemalige präkambrische Meeressedimente, die bereits zwei Gebirgsbildungszyklen (die cadomische und die variszische Orogenese) durchlaufen haben und heute als stark metamorphes Gestein (Marmor, Glimmerschiefer) die Hochfläche formen. Auf der anderen Seite: das miozäne Meer, dessen Sedimente als relativ junge, nur gering verfestigte Meeresablagerungen das Horner Becken füllen.

Diese Konstellation – das gleichzeitige Sichtbarwerden verschieden zeitlicher Meeressedimente in einem Blickfeld – erzeugte ein Erkenntnismoment, das über das intellektuelle Erfassen geologischer Zeiträume hinausging. Es war, als würde sich ein geologischer Raum aufklappen: nicht linear, sondern synchron und spürbar.


"Jedes Gestein ist ein Übergangszustand – kein `fertiges´ Produkt. (DeepSeek, 5.7.25)

Überschiebungslinie des Moldanubikums über das Moravikum:

Die Überschiebungslinie des Moldanubikums über das Moravikum (Variszische Gebirgsbildung) im Bereich dieses Hügelzugs ist nicht nur tektonisch relevant, sondern auch epistemisch. Hier treffen nicht nur zwei geologische Einheiten aufeinander, sondern auch zwei Mikro-Terrane (Armorica und Avalonia/Brunovistulikum) und zwei Kontinente (Afrika und Amazonia/Südamerika). 

Grenze wird verstanden als Kontaktzone, als Ort geologischer, epistemologischer und körperlicher Reibung.


Geologie des Bittesch Gneis: Der Bittesch Gneis, der u.a. in diesen Überlagerungszone sichtbar wird, ist ein hochmetamorphes Gestein, das vermutlich vor ca. 575 Mio Jahren im Kontext der cadomischen Orogenese als granitisches Magma intrudierte. Er verursachte eine Kontaktmetamorphose im umgebenden Gestein (heutiger Glimmerschiefer und Marmor), wurde während der variszischen Gebirgsbildung stark deformiert.




Pernegger Graben - Glimmerschiefer
Pernegger Graben - Glimmerschiefer

*) "Die Paragesteine (Glimmerschiefer, Marmor) sind sicher polymetamorph, d.h. dass bereits vor der Variszischen Orogenese metamorphe Gesteine bei der Variszischen Gebirgsbildung weiter metamorph überprägt wurden. Die letzte Metamorphose ist heute am deutlichsten zu erkennen, alle anderen Metamorphosen sind dagegen stark überprägt." - aus einem Mail von Reinhard Roetzel (1.8.2025)


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